Startseite

Inhaltsverzeichnis

KAPITEL 1:

Die Geschichte des Schotthocks

KAPITEL 2:

Das Leben im Schotthock

KAPITEL 3:

Es ist lange her

KAPITEL 4:

Die Bauern

 

KAPITEL 7:

Gemeinde im Schotthock

 

Bomben auf die Firma Hermann Kümpers

 

Der 20. Januar 1945 begann als nebliger, rauhkalter Wintertag. Trotzdem erschienen schon um 8 Uhr morgens feindliche Flieger über dem Münsterland. Wie es in jenem Jahr an der Tagesordnung war, heulten bereits früh in den Städten und Dörfern die Sirenen Vollalarm. Es war Samstag. Wie damals üblich, wurde an diesem Vormittag nicht voll gearbeitet. Unser Betrieb ruhte bis auf die Webstühle und die Handwerksbetriebe. Im Kesselhaus standen von sieben Kesseln nur zwei unter Dampfdruck. Die Elektriker benutzten den Samstagmorgen, um einige dringende Reparaturen durchzuführen.  Daraus ergab sich eine Abschaltung des Stromes für die Alarmsirene. Zwischen dem Werkluftschutzleiter Brüseke und dem Elektromeister Gräfe war aber eine Verabredung getroffen, die eine sofortige Einschaltumg des Stromes bei Fliegeralarm gewährleistete.

Um 10.03 Uhr erhielt der Werkluftschutzleiter durch Telefon die Meldung: „Flieger-Alarm!" Sofort schickte er den bereitstehenden Boten zu Elektromeister Gräfe. In dem Augenblick, da die Meldung „Fliegeralarm!" kam, kreisten die aus dem Raum Bocholt-Burgsteinfurt anfliegenden Formationen auch schon über der Stadt Rheine und dem Werk. Unmittelbar darauf fielen in der Gegend von Delsen die ersten Bomben, kurze Zeit später die ersten Bomben auf unseren Betrieb.

Die weißen Kreise markieren die Bombeneinschläge im Schotthock (zum Vergrößern anklicken!)

Hier müssen wir in unserem Bericht zunächst etwas erwähnen, was uns erst viel später bekannt wurde: Ein Rheiner Mitbürger tat zu dieser Zeit gerade Dienst bei einer Einheit, die die Aufgabe hatte, den Sprechverkehr zwischen den englischen Verbänden und ihrem Heimatflughafen abzuhören. Er verfolgte einen englischen Verband, dem ein Angriffsziel in Mitteldeutschland befohlen war. Wegen des schlechten Flugwetters und Schneetreibens bestand keine Aussicht auf Erreichung des Zieles. Der Führer des Verbandes unterhielt sich darüber durch Funksprechverkehr mit dem Einsatzleiter seines Flughafens und bat um Angabe eines neuen Zieles. In diesem Augenblick muß er durch das Schneetreiben und die Wolken hindurch wohl kurz Sicht auf die Erde gehabt haben und meldete: „ I see a faktory." (Ich sehe eine Fabrik.)

Er bekam dann den für uns so verhängnisvollen Befehl, seine Bombenlast abzuwerfen. Es hat sich also nicht um einen planmäßigen Angriff auf unser Werk gehandelt, wie anfangs allgemein vermutet wurde.

Unter dem Krachen der Bomben blieb der Heizer Heinrich Förster getreu und tapfer auf seinem Posten, um noch die Schieber der Dampfkessel zu schließen. Die ersten Bomben trafen übrigens die Lehrabteilung der Weberei und vor allem das Maschinenhaus der Spinnerei. Zwei schwere Bomben machten in dieser Sekunde aus unserer 2000 PS-Dampfmaschine, die der Stolz des Betriebes war, einen Trümmerhaufen von Schrott und Steinen. Elektromeister Gräfe war gerade in diesem Augenblick dabei, im Maschinenhaus den Strom wieder einzuschalten. Er kam nicht mehr dazu: unter der umstürzenden Schaltanlage und den Trümmern des Maschinenhauses fand er den Tod.

So war es unmöglich geworden, Alarm durch die Sirene zu geben. Der Luftschutzleiter hatte aber inzwischen durch Melder die Weberei alarmiert. Die dort Arbeitenden eilten während des Bombenwurfs in den Wellengang, um dort den ersten Schutz zu suchen. Bis auf den Weber Gerhard Drees, der beim nächsten Bombenwurf getötet wurde, schafften es alle, während einer Feuerpause den Luftschutzbunker zu erreichen.

Dem Luftschutzleiter es gelang, schon während de„ Angriffs die Werks-Feuerwehr zum Löschen der Brände einzusetzen. Diesen Rettungsmaßnahmen war aber durch die sich planmäßig wiederholenden Anflüge (es dürften etwa sechs gewesen sein) kein Erfolg beschieden.

Inzwischen hatte sich im Luftschutzraum der Lehrabteilung Schreckliches ereignet: In seiner Nähe waren Luftminen gefallen. Es scheint, daß einige Mitarbeiter die Türen nicht richtig geschlossen hatten oder daß sie hinter ihnen stehengeblieben waren. Jedenfalls wurden sie vom Sog der Luftminen getötet. Es waren die Mitarbeiter Karl Rudat, Julia Sand und Aloys Heilker.

Unser Mitarbeiter Hermann Loerrakker schildert, wie er im Bunker vom Luftsog einige Male in die Höhe gehoben wurde und wie ihm die Kleider vom Leibe gerissen wurden; das Licht erlosch, aus einer angeschlagenen Wasserleitung floß Wasser in den Raum. Es gelang ihm und den anderen Überlebenden, durch den Notausgang des Bunkers nach draußen zu kommen.

Aus der Sicht des freien Feldes erlebte unser Schlosser Heinrich Bender den Angriff. Er eilte von seinem Arbeitsplatz in der Schlosserei über die Mauer des Werkshofes an der Nordseite nach draußen. Dabei wurde er am Bein von Bombensplittern getroffen. Er konnte sich noch in eine Bodenwelle der Wiese retten. Von dort hörte und sah er, wie die Flugzeuge anflogen und planmäßig ihre Bombenlast abwarfen. Er hörte das Heulen und Krachen der Bomben, sah, wie die Mauern einstürzten und die Flammen aus den Werkshallen schlugen.

Ernst Kümpers, der nach seiner Entlassung aus der Wehrmacht seit 1943 als einziger unserer Betriebsinhaber wieder in Rheine tätig war, hatte an diesem Tage wegen einer Grippe sein Haus nicht verlassen. Die Bomben, die auch seinen Garten umpflügten, trieben ihn in den Keller. Noch vor der letzten Angriffswelle sah er vom Dachfenster seines Hauses schwere schwarze Rauchwolken aus Richtung Walshagen aufsteigen. Trotz Fiebers machte er sich sofort mit dem Fahrrad auf den Weg. Als er den Betrieb erreichte, bot sich ihm ein grauenhaftes Bild der Zerstörung und der Panik. Beide Maschinenhäuser, die Lehrabteilung, Teile der Spinnerei und der Weberei waren zerstört. Etwa 40 großkalibrige Sprengbomben und Minen und unzählige Brandbomben hatten ihr grausiges Zerstörungswerk vollendet. In der Messerei, an der Nordecke der Weberei, im alten Magazin und in der Spinnerei waren Brände ausgebrochen. Da es nicht möglich war, diese örtlichen Brände sofort unter Kontrolle zu bringen, griff das Feuer von der Messerei auf die Teer-Sheds der Weberei über und fand in dem alten, trockenen Holz reichliche Möglichkeit, sich schnell nach allen Seiten hin auszudehnen.

In der Spinnerei schien nur ein Brand ausgebrochen zu sein. Trotzdem ging Ernst Kümpers durch alle Räume, um sich über das Ausmaß der Schäden zu informieren. Dabei sah er, daß nicht nur im mittleren, sondern auch im oberen Spinnsaal an der Nordwand große Hülsenlager und viele Spinnmaschinen in Flammen standen. Hier gelang es unserem Boten August Pott und einigen Mitarbeitern, durch Wegräumen der Baumwolle von den Maschinen neutrale Zonen zu schaffen, um so das Feuer am weiteren Umsichgreifen zu hindern.

Im Staubkeller hatte eine Staubexplosion einen Brand entfacht, der auf die Batteur-Maschinen und von diesen auf den darüber befindlichen Ballenbrecherraum übergriff. Mit kräftiger Hilfe des gerade im Betrieb anwesenden Wirtschaftsprüfers Sundermann und einiger Mitarbeiter konnte auch hier das Feuer eingedämmt werden.

Bei allem Unglück gibt es meistens doch noch ein klein wenig Glück. So auch in diesem Falle: Eine schwere Sprengbombe hatte das Dach der Spinnerei durchschlagen und in der nächsten Betondecke noch zwei starke Träger wie mit einem Schneidbrenner geteilt. Auch die nächste Decke hätte sie infolge ihrer Fallkraft durchschlagen. Sie landete im Boden des Erdgeschosses, nachdem sie noch den Getriebekasten eines Flyers zerstört hatte und.... blieb liegen. Wehe, wenn.....

Ernst Kümpers, der dieses bei seinem Durchgang durch die Spinnerei festgestellt hatte, dachte mit Bangen den ganzen Tag an diesen Blindgänger, der ihn auch in der kommenden Nacht nicht zur Ruhe kommen ließ. Erst einige Tage später konnten Feuerwerker diese Bombe wie noch mehrere Blindgänger, die auf das Werksgelände und seine Umgebung gefallen waren, entschärfen.

Inzwischen waren die Feuerwehren aus der Stadt Rheine unter der Leitung des Kreiswehrführers Krüselmann sowie die Wehren aus Mesum und Neuenkirchen eingetroffen. Auch der Löschzug der Reichsbahn Rheine war mit Mannschaft und Geräten zur Stelle. Von Werksangehörigen unterstützt, begannen sie nun, die Brände planmäßig zu bekämpfen. Im Rahmen dieser Löschaktion wurden von der Ems aus Leitungen in die Spinnerei und in die Weberei gelegt, so daß das Feuer nach harter Arbeit in den späten Nachmittagsstunden gelöscht werden konnte. Ausgezeichnet hat sich hierbei eine weibliche Einsatzgruppe der Rheiner Feuerwehr! Die in jenen Monaten überanstrengten Feuerwehrmänner taten ihr Bestes, den Rest des Betriebes zu retten. Es ist ihrem selbstlosen Einsatz zu danken, daß eine Reihe von Werksanlagen vor der völligen Zerstörung bewahrt blieb. Leider fiel in den nächsten Tagen Schnee und Regen durch die zerstörten Dächer und Fenster auf die noch unbeschädigten Maschinen und setzte das Zerstörungswerk der Bomben fort.

Das geschah in jener halben Stunde am 20. Januar 1945. Vielleicht ist es heilsam, sich heute jener Ereignisse zu erinnern und zu bedenken, welch langer Zeit und welcher außerordentlichen Anstrengungen es bedurfte, die Zerstörungen jener dreißig Minuten zu beheben und das Werk wieder voll arbeitsfähig zu machen.

Soweit der Bericht aus der Werkszeitung über die Bombardierung der Firma Hermann Kümpers.

 

Lehrabteilung von Hermann Kümpers im Jahre 1938

 

Quellennachweis

  1. Neujahrsgruß 1984, Museum für Archäologie, Seite 16
  2. Werkszeitung CKS Spinnweber, Juli 1951
  3. 50 Jahre Männerschützenverein Schotthock, 1963
  4. Hollweg, August: Heimat in der Sage. Seite 7, 1978
  5. Kohl, Wilhelm: Dreierwalde, Seite 14, 1971
  6. Löffler, Norbert: Kreuz und quer durch die Umgebung von Rheine, Seite 40, 1906
  7. Greiwe, Franz: Amt Rheine, Seite 40, 1974
  8. Führer, Anton: Stadt Rheine, Seite 131
  9. Niemeyer, Josef: Werksbote Walshagen, Nr. 12, 1951
  10. wie 9
  11. Greiwe, Franz: Amt Rheine, Seite 97. 1974
  12. Bojer, Helmut: Venhaus, Seite 68, 1977
  13. Kohstall, Aloys: Salzbergen, Seite 60. 1977
  14. Greiwe, Franz: Amt Rheine, Seite 97, 1974
  15. Kohstall, Aloys: Salzbergen, Seite 61, 1977
  16. Greiwe, Franz:Arnt Rheine, Seite 98, 1974
  17. Niemeyer, Josef: Werksbote Walshagen, Nr. 12, 1951
  18. Hopster, Hermann: Hopsten
  19. Führer, Anton: Stadt Rheine, Seite 176
  20. Führer, Anton: Stadt Rheine, Seite 211
  21. Büld, Heinrich: Rheine, Seite 153
  22. Rheine: Gestern heute morgen, Nr. 3, 1985
  23. Werkszeitungen Hermann Kümpers 1935-1942